Wenn sich die Landschaft unter die winterliche Schneedecke legt, dann wird in Brandenburgs Wäldern das Böse wach. Immer im Winter verschwinden Kinder, meist sogar aus den Elternhäusern und nur ein einziges Mädchen ist jemals zurückgekehrt. Daraufhin beschließt ein verzweifelter Vater, der Spur seines Kindes selbst nachzugehen.
Zoran Drvenkar hat mit „Still“ einen bemerkenswerten Thriller geschaffen, der andere Roman des Genres deutlich in den Schatten stellt. Vordergründig stehen die Stille und die Kälte des Winters, wie sie mit den Machenschaften der Täter und der Haltung der Opfer gleichgesetzt werden.
„Still“ steht aber auch für den Erzählstil, der sehr ruhig gehalten ist. In richtig beherrschtem Ton wird von abscheulichen Verbrechen, gnadenlosen Jagden und der Motivation der Täter berichtet, sodass ich beim Hören einen Kloß im Hals gespürt habe. Christoph Maria Herbst spricht in eiskaltem Stil, der mir unter die Haut gegangen ist.
Zudem ist „Still“ ein außergewöhnlicher Thriller, der durch seinen ungewöhnlichen Aufbau besticht. Der Roman ist in die Perspektiven „Du“, „Sie“ und „Ich“ unterteilt, die jede für sich die Spannung auf’s Äußerste reizt.
„Du“ ist das Mädchen Lucia, das einzige Opfer, das bisher zurückgekehrt ist. „Sie“ sind die Täter, denen dieses Mädchen entkommen ist, und „Ich“ ist der Vater, der ab sofort ein Jäger ist.
Anfangs habe ich vor Unglauben den Kopf geschüttelt. Da ich mich im Vorhinein kaum über den Inhalt informiert hatte, bin ich mit meinem ersten Eindruck absolut daneben gelegen. Stilistisch geschickt, hat mich Zoran Drvenkar lange Zeit in die falsche Richtung gelenkt, was mir sehr gut gefallen hat.
Jede Minute habe ich unter Hochspannung gehört und der Autor hat mir Hintergründe präsentiert, die ich auf diese Weise niemals vermutet hätte. Wie bereits gesagt, bin ich zu Beginn fälschlicherweise dem äußeren Schein gefolgt, womit ich gleich zweimal in die Irre geführt wurde. Zwar gibt der Autor häppchenweise Informationen preis, die man nicht so ganz ins Bild einfügen kann, allerdings habe ich mich trotzdem relativ lang nicht von meinen Vermutungen abbringen lassen.
Das Ende ist der einzige Punkt, der mich nörgeln lässt. Den Schluss an sich habe ich als grandios empfunden, jedoch ist er gar so abrupt gekommen, dass ich richtig verwundert war. Bei der Hörbuchversion war mir nicht einmal klar, dass ich mich bereits im Showdown befinde. Das kann einerseits daran liegen, weil der gesamte Thriller dermaßen spannend ist, oder auch, weil die Kurve zum Ende hin nicht ganz so gut gelungen ist.
Ich habe „Still“ dennoch als bemerkenswerten Thriller wahrgenommen, der mit der dunklen Seite der Gesellschaft abrechnet, Protagonisten sowie Leser der Stille und Kälte des Winters ausliefert und zu guter Letzt eine dämpfende Schneedecke über abscheuliche Taten legt, wie es wahrscheinlich auch in der Realität geschieht.
Insgesamt ist „Still“ ein Thriller, den man als Genrefreund unbedingt lesen oder hören sollte, weil er viele andere seiner Art im Schnee stehen lässt und bestimmt lange in Erinnerung bleibt.