Nachkriegszeit in Wien. Die Stadt ist in vier Besatzungszonen eingeteilt, notwendigste Güter sind rar und es ist genau die richtige Zeit, um sich am Schwarzmarkt eine goldene Nase zu verdienen. Rollo Martins wird von seinem Freund Harry Lime in dieses Wien eingeladen, allerdings kommt er nur mehr zu dessen Begräbnis zurecht.
„Der dritte Mann“ ist ein Filmklassiker, den viele allein aufgrund der berühmt-berüchtigten Filmmusik - der Zither-Melodie - kennen. Deshalb hat es mich gejuckt, zur Buchvorlage zu greifen und dem Tod von Harry Lime auf den Grund zu gehen.
Tragende Themen sind natürlich die Nachkriegszeit, der Schwarzmarkt, die Besatzer und welche Konsequenten diese Konstellation für die Menschen bedeuten. Denn für Gauner und Ganoven sind Zeiten des Mangels die Gelegenheit, um als Schieber am eigenen Vermögen zu arbeiten. Gepaart mit einem Hauch Agenten-Charme und einer Prise Emotion ergibt sich daraus ein interessanter Krimi, der sich nicht nur sehen sondern auch lesen lässt.
Rollo Martin kommt also nach Wien, um seinen Freund Harry Lime aufzusuchen. Allerdings ist Harry Lime zu diesem Zeitpunkt schon tot und wird am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Der schockierte Rollo Martin kann den Unfalltod seines besten Freundes nicht einfach so hinnehmen und geht eine eigene Untersuchung an. Schnell stellt sich heraus, dass ein mysteriöser dritter Mann beteiligt war, den Rollo unbedingt finden will.
Besonders gut gefällt mir, wie Graham Greene das komplizierte Wesen dieser Zeit einfängt. Wien ist von Amerikanern, Briten, Franzosen und Russen besetzt, und allein die Verständigung der Alliierten untereinander ist eine wahre Herausforderung. Ermittlungstätigkeiten sind meist nur in der eigenen Zone möglich, Kooperationen werden rigoros abgelehnt, es wird der eigene Wille durchgesetzt und wenn es hart auf hart kommt, wird lapidar die Sprachbarriere mit einem Schulterzucken als Ursache vorgeschoben.
In diesem Wien versucht Rollo Martin den Tod seines Freundes aufzuklären, weil er nicht fassen kann, dass dieser nicht mehr am Leben ist. Dabei kommt er Schmugglern auf die Spur und landet kurzerhand selbst in der Gefahrenzone.
Außerdem nimmt die Handlung sehr charmante Züge an, weil Rollo Martin in interessante Situationen schlittert, die er für sich nutzen kann.
Leider merkt man diesem Buch an, dass es von Vornherein als Filmvorlage geschrieben wurde. Es ist zwar nicht unbedingt als Drehbuch verfasst, trotzdem sind mir viele Passagen zu skizzenhaft. Graham Greene geht nur auf Schlüsselszenen besonders ein, die Umgebung wird großteils vernachlässigt und die Tiefe der Figuren ist teilweise mangelhaft. Meist habe ich es als Aneinanderreihung von Filmszenen empfunden, obwohl die Geschichte an sich großartig ist. Greene geht schon im Vorwort auf diesen Umstand ein, sodass der Erzählstil eigentlich keine Überraschung ist:
„Der dritte Mann wurde nicht geschrieben, um gelesen, sondern nur, um gesehen zu werden.“ (S. 9)
Ich finde es sehr schade, dass „Der dritte Mann“ dadurch an Atmosphäre und Tiefe verliert, weil es eine wahnsinnig gute, spannende Geschichte ist. Sie lebt von der Nachkriegszeit, dem Agenten-Charme und von der Wiener Szenerie, wobei die Stadt an sich nicht unbedingt gut wegkommt:
„Ich habe Wien zwischen den Kriegen nicht gekannt, und ich bin zu jung, um mich an das alte Wien mit seiner Strauß-Musik und seinem verlogenen oberflächlichen Charme zu erinnern; für mich ist es einfach eine Stadt aus würdelosen Ruinen …" (S. 16)
Nichtsdestotrotz kann ich diese Buchvorlage zu „Der dritte Mann“ jedem ans Herz legen, der diesen Filmklassiker im ganz persönlichen Kopfkino erleben will, weil sie trotz mancher Abstriche durch und durch lesenswert ist.