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Viehische Gewalt

Der Stier und das Mädchen - Ein Island-Thriller - Stefán Máni, Karl-Ludwig Wetzig

Frida und Melanie sind in ihren Ferien auf Island unterwegs. Als sie notgedrungen wegen einer Panne anhalten und Hilfe bei einem Bauernhof suchen, gefriert ihnen das Blut in den Adern. Denn sie machen einen grausamen Fund …

Stefán Máni hat mit „Der Stier und das Mädchen“ einen brutalen Island-Thriller geschrieben, der von Anfang bis Ende spannend, ungewöhnlich und fesselnd zu lesen ist.

Der Klappentext führt etwas in die Irre, weil es gar nicht um Frida und Melanie geht. Dieses Gespann bildet lediglich die Rahmenhandlung, weil man sie nur bis zu dem grausamen Fund begleitet.

Hauptsächlich geht es um eine isländische Familie und die einzelnen Familienmitglieder. Dabei wird überwiegend Augenmerk auf die Tochter Hanna und den Sohn Óskar gelegt. An dieser Stelle möchte ich nicht zu viel über die Figuren verraten, weil ihre Entwicklung zentral für den Handlungsverlauf ist.  

Máni spricht hier besonders Themen an, die mit dem abgeschiedenen Leben am Land verbunden sind und geht genauso gekonnt auf die Probleme der Großstadt ein. 

Der Schauplatz Island ist mir leider etwas zu kurz gekommen. Zwar begleitet man Hanna in der Hauptstadt Reykjavík, jedoch ist die Atmosphäre austauschbar. Es hätte jede andere Stadt genauso sein können. Auch die gesellschaftlichen Besonderheiten der Isländer haben für meinen Geschmack zu wenig Raum erhalten, denn sie werden mit keinem Wort erwähnt. Dabei hatte ich aufgrund der Untertitelung als ‚Island-Thriller‘ schon gewisse Erwartungen daran.

Inhaltlich hat der Autor ein wahres Drama geschaffen, das mir ordentlich unter die Haut gegangen ist. Obwohl es sich um einen Thriller handelt, hat die Geschichte auf mich realitätsnah gewirkt. Meinem Empfinden nach könnte es sich tatsächlich so zugetragen haben.

Die eigentliche Handlung ist in mehreren Stränge in Gegenwart und Vergangenheit angesetzt. Zwar wird nicht chronologisch erzählt, doch die Episoden sind durch ein ‚Tick Tack‘ gekennzeichnet. Dadurch sind sie im Großen und Ganzen übersichtlich beschrieben. Trotzdem habe ich mir etwas schwer getan, weil der Autor zwischen den Figuren herumspringt und einen von einer Szene in die nächste reisst. 

Die kurzen Kapitel sind intensiv und schonungslos geschrieben. Sie stacheln Gefühle sowie Emotionen an und sind von einer blutrünstigen kalten Aura umgeben. Dabei hat Máni teils einen vulgären Sprachgebrauch und so manche seiner Ideen kann man schon als barbarisch bezeichnen.

Eine blutrünstige Szene ist mir sehr nahe gegangen, weil dabei ein Tier im Mittelpunkt steht. Ich habe schon öfter gemerkt, dass ich Gewalt und Brutalität gegenüber Menschen in Büchern besser ertragen kann, als wenn ein Tier misshandelt wird. Bei dieser Szene hat sich bei mir alles zusammengezogen und ich habe fassungslos den Kopf geschüttelt, weil ich es als dermaßen unfair empfunden habe.

Obwohl Stefán Máni mit Horror-Meister Stephen King verglichen wird, kann ich dem nicht zustimmen. Máni schreibt gut, fesselt mit einfachen kurzen Sätzen und regt ordentlich die Gemüter auf. Mit der dichten Atmosphäre anderer Autoren kann sein Werk - trotz der einnehmenden Stimmung - allerdings (noch) nicht Schritt halten, weil er meinen Lesefluss durch den episodenhaften Aufbau eher belastet als vorangetrieben hat.

Dennoch ist „Der Stier und das Mädchen“ meiner Meinung nach ein beispielloser, aufreibender Thriller, der packen kann, und dem Leser eine dramatische Familiengeschichte vor Augen führt. Zarte Gemüter sollte sich vor der viehischen Gewalt und dem anrüchigen Ton hüten. Wer dies verkraften kann, wird aufwühlende Lesestunden erleben.

Quelle: http://zeit-fuer-neue-genres.blogspot.co.at