Wills erster Schultag könnte besser nicht sein: er greift einem Mädchen unabsichtlich an die Brüste und setzt sich in der Mittagspause bei jemanden auf den Schoß. Dabei wollte er allen beweisen, dass er es als blinder Junge genauso gut in einer normalen Schule schaffen kann.
Will ist seit Geburt an blind und ist bisher auch an eine Blindenschule gegangen. Doch er möchte sich selbst und seinen Eltern beweisen, dass er es auch an einer regulären Schule schaffen kann und setzt sich durch. Schon am ersten Tag tritt er in das eine oder andere Fettnäpfchen, wobei ihm nicht alle davon sofort bewusst sind.
Protagonist Will ist ein ziemlich selbstironischer Typ, der sich durch's Leben kämpft. Mit seiner Blindheit geht er gut um, immerhin hat er es nie anders gekannt. Doch die neue Schul-Umgebung gibt ihm dann doch zu knabbern, weil er nun mit sehenden Mitschülern mithalten muss.
Nachdem er sich im neuen Umfeld einigermaßen eingelebt und sogar Freunde gefunden - die Schoßgeschichte - hat, wird ihm eine innovative Operation vorgeschlagen. Sie wird ihm das Augenlicht geben und ihm die Welt der Sehenden sowie ihre Geheimnisse eröffnen. Daraufhin erkennt Will, dass er beinhart angelogen wurde und sein Mädchenschwarm Cecily gar nicht so gut aussieht.
Allein die Inhaltsbeschreibung nimmt schon einiges von dieser Liebesgeschichte vorneweg, was sich im Lauf des Romans zu entwickeln gedenkt. Doch richtig packend ist gar nicht der Handlungsverlauf, sondern Wills schwarze Welt, in die der Autor einen Einblick gibt.
Wills Leben mit Blindheit ist exzellent beschrieben und der Autor zeigt, wie gut sich blinde Menschen zurechtfinden können. Eingangs erzählt Will, was oft nicht alles passiert, wenn ihm sehende Menschen zur Hand gehen wollen, und wie unhöflich es ist, wenn man einem Blinden ins Ohr schreit. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie sich Will in seiner Umgebung zurechtfindet, woher er weiß, wo er gerade ist und was um ihn herum geschieht, und dass er trotz seiner Behinderung zu einem normalen Leben fähig ist.
Der Roman wird aus Wills Perspektive in Ich-Form erzählt und hier ist dem Autor Bemerkenswertes gelungen. Obwohl Will nicht sieht und von seinem Umfeld, den Menschen und den Ereignissen aus seiner Sicht erzählt, konnte ich mir das gesamte Geschehen lebhaft und farbenfroh vorstellen.
Besonders gut hat mir gefallen, dass die Ängste der Eltern blinder Kinder einbezogen werden. Will muss sich bei vielen Entscheidungen mit seiner Mutter messen, weil sie immer nur das Beste für ihren Sohn will. Diese kleinen Machtkämpfe hatten den Anstrich einer Übermutter, die mit ihrer überbordenden Sorge ihr Kind erstickt. Im Lauf der Handlung und gerade am Ende hat ihr Verhalten durchaus nachvollziehbar und schlüssig gewirkt.
Außerdem ist die Liebesgeschichte zwischen Will und Cecily zentral, die sich nach wenigen Seiten zu entwickeln beginnt. Sie werden rasch Freunde und verbringen viel Zeit miteinander. Bald wird aber klar, dass Cecily nicht so gutaussehend ist, wie Will denkt.
Die Liebesgeschichte war für mich nett und gehört im Teenie-Alter wohl dazu. Für die Handlung an sich wäre sie meiner Meinung nach gar nicht notwendig gewesen, weil es auch so eine sehr interessante Erzählung war. Den Makel von Cecilys Aussehen hat’s für mich wirklich nicht gebraucht, das war mir einen Hauch zu viel. Natürlich spielt der Autor damit auf das Vertrauen blinder Menschen und die Ehrlichkeit ihres sozialen Umfelds an, aber vielleicht hätte man das auf andere Art, ein bisschen subtiler, lösen können.
Dennoch war die Geschichte in sich rund, schlüssig und gut zu lesen. Gerade Wills Selbstironie und sein lockerer Umgang mit seiner Blindheit hat dem Roman viel Elan gegeben. Ich konnte mich in seine Bedenken einfühlen und habe gern mit ihm gemeinsam den Schritt auf eine normale Schule gewagt.
Schlussendlich ist „Liebe und der erste Blick“ eine nette Liebesgeschichte mit einem blinden Jungen, der die Welt für sich entdeckt und die ich durchaus weiterempfehlen kann.